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„Isch do no frei?“: Warum Profis nach dem Muttersprachenprinzip übersetzen

Folgendes Szenario: Sie gehen durch den überfüllten Zug und erspähen einen freien Sitz, auf dem jedoch eine Tasche liegt. Sie nähern sich dem Platz, fragen „Isch do bsetzt?“ – und ernten wahrscheinlich einen irritierten Blick. Zwar wird man Sie verstehen, allerdings auch sofort merken, dass Sie nicht von hier sind. Denn bei uns sagt man bekanntlich „Isch do no frei?“, wenn man sich dazusetzen möchte. Alles andere mutet seltsam an. Genau diesen Eindruck kann auch eine Übersetzung erwecken, wenn sie von einem/einer Nicht-MuttersprachlerIn erstellt wurde. In diesem Beitrag erklären wir, warum wir prinzipiell nach dem Muttersprachenprinzip arbeiten und ob bzw. wann Ausnahmen sinnvoll sind.

Das Muttersprachenprinzip: Übersetzen, wie einem der Schnabel gewachsen ist.

Starten wir mit einer Begriffsklärung: Was versteht man eigentlich unter dem Muttersprachenprinzip? Eine muttersprachliche Übersetzung ist dann gegeben, wenn der/die ÜbersetzerIn aus einer Fremdsprache in die eigene Muttersprache (=Zielsprache) übersetzt.

Dies ist insofern sinnvoll, als gute Übersetzungen idiomatisch sind, das heisst so, wie man es eben sagt. Sie sind fachlich, sprachlich und kulturell adäquat. Vereinfacht formuliert könnte man auch sagen: Eine Übersetzung ist dann gut, wenn sie nicht als solche erkannt wird. Idiomatische Wendungen wie das eingangs erwähnte „Isch do no frei?“ spielen für die Qualität einer Übersetzung eine zentrale Rolle. Jede Sprache kennt zig solcher vorformulierten Wendungen, und jeder, der mit der jeweiligen Sprache aufgewachsen ist, wendet sie ganz natürlich und ohne zu überlegen an. Man spricht eben so, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Und wem der Schnabel eben nicht so gewachsen ist, dem/der fällt es schwer, idiomatisch zu übersetzen. 

Ein Beispiel für idiomatische Wendungen: Von aufgeblasenen Schuhen und frittiertem Spargel.

Sprache ist Kulturgut und daher müssen ÜbersetzerInnen mit der Kultur eines Landes vertraut sein. Nur dann gelingt es ihnen, Inhalte und Wendungen richtig zu interpretieren und korrekt wiederzugeben. Insofern sind ÜbersetzerInnen keine wandelnden Wörterbücher (wie oft fälschlicherweise angenommen wird), sondern vielmehr KulturvermittlerInnen.

Mit dem folgenden Beispiel möchten wir Ihnen noch einmal zeigen, wie vielschichtig Sprache ist und warum ein Profi nicht wortwörtlich übersetzt, sondern sich der idiomatischen Wendungen seiner Muttersprache bedient.

Nehmen wir an, Sie haben im Lotto gewonnen. Endlich können Sie Ihren Job kündigen und Ihrem ungeliebten Chef Adieu sagen. Auf welche Art und Weise würden Sie das tun? Das kommt natürlich ganz auf Ihre Herkunft an:

In der Schweiz? Blos mer doch i d Schue!
In Deutschland? Rutsch mir den Buckel runter!
In Österreich? Schleich di!
In England? Get lost! (Wörtlich: Geh verloren!)
In Dänemark? Du kan rende mig et hvis sted! (Wörtlich: Rutsch mir an eine genaue Stelle!)
In Rätoromanisch? Zofla ainten la pegna! (Wörtlich: Blas in den Ofen!)
In Spanien? ¡Vete a freír espárragos! (Wörtlich: Geh Spargeln frittieren!)

Stellen Sie sich vor, ein/eine ÜbersetzerIn würde hier Wort für Wort übersetzen – das Ergebnis wäre wohl (gelinde gesagt) irritierend.

Zum Weiterlesen: Grillen Sie noch oder grillieren Sie schon? Die Macht der Helvetismen

Ausnahmen von der Regel

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt: In Einzelfällen mag es durchaus Ausnahmen geben, die eine Abweichung vom Muttersprachenprinzip rechtfertigen. Weitgehend unumstritten ist die Anwendung des Muttersprachenprinzips in der Übersetzung literarischer und appellativer Texte (Marketing, Werbung etc.); für andere Textsorten und Sachgebiete sind gegebenenfalls andere Faktoren ausschlaggebend für die Übersetzungsqualität. Das Muttersprachenprinzip ist kein Patentrezept für gute Übersetzungen. Zusätzlich ist in jedem Fall eine hohe Fremdsprachen-, Übersetzungs- und Sachkompetenz erforderlich. Das Muttersprachenprinzip ist sinnvoll, wenn Wert darauf gelegt wird, dass der Zieltext sprachlich besonders ansprechend oder einfach nur unauffällig ist. Wenn es darum geht, inhaltliche Details exakt aus einem schwer verständlichen Ausgangstext zu erfassen, kann es jedoch genauso sinnvoll sein, einen Übersetzer einzusetzen, dessen Muttersprache die Ausgangssprache ist. Bei technischen Texten wie Gebrauchsanleitungen ist es unter Umständen sogar sinnvoll, mit maschinellen Übersetzungen zu arbeiten, wobei das Post-Editing (d. h. die nachträgliche Kontrolle und Korrektur) auch in diesem Fall immer durch einen menschlichen Übersetzungsprofi erfolgen sollte.

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