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„Auf einen Gradsatz*“ – Interview mit dem Übersetzer Arnaud Briand

Arnaud Briand über Mehrsprachigkeit dank altem Radio, Transkreation und die Zukunft des Übersetzens

In unserer neuen Blog-Serie „Auf einen Gradsatz“ unterhalten wir uns mit verschiedenen Menschen aus unserem beruflichen Umfeld. Den Anfang macht Arnaud Briand aus Paris, der seit vielen Jahren für uns auf Französisch übersetzt und auf dessen Expertise stets Verlass ist.

 

Arnaud, wie hast du zu Mehrsprachigkeit und Übersetzung gefunden?

Arnaud: Meine Leidenschaft für Sprachen entwickelte sich schon sehr früh, im Alter von neun oder zehn Jahren. Wenn mir langweilig war oder ich keinen Schlaf finden konnte, ging ich mit einem alten Radio, das ich im Estrich meiner Grosseltern gefunden und wieder in Stand gesetzt hatte, regelrecht auf „Kurzwellenjagd“: Deutsche Welle, BBC, Radio Vaticana, Stimme Russlands usw. Meine erste Begegnung mit all den fremden Klängen und Stimmmodulationen aus „fernen“ Ländern war geradezu Liebe auf den ersten Blick (oder besser gesagt: „Liebe auf den ersten Klang“): Ich spürte, dass diese Klänge, obwohl meinen Ohren noch fremd, bereits etwas eigenartig Vertrautes an sich hatten.
Kurze Zeit später kam ich ins „Collège“ – ins Gymnasium – und gleich in der ersten Englischstunde fand sich meine wachsende Leidenschaft für Sprachen bestätigt. Von dem Moment an verschlang ich Vokabellisten und ganze Wörterbücher, und mit dreizehn Jahren, nur wenige Monate nach meiner ersten Deutschstunde, nahm ich mir meine allererste Übersetzung vom Deutschen ins Französische vor. Kurz vor dem Abitur wurde mir klar: Ich würde aus meiner Leidenschaft meinen Beruf machen. Seit nunmehr fast vierzig Jahren übersetze ich – immer noch mit der gleichen Leidenschaft.

Inspiration vs. Transpiration: Ist Übersetzen ein kreativer Prozess oder knochenharte Arbeit?

Arnaud: Kreativität ist gefragt, denn Übersetzen bedeutet letztendlich doch auch, einen schönen Text in der Zielsprache zu „kreieren“. Dabei ist man leider oft eingeschränkt durch Terminologievorgaben und Syntaxregeln und muss sich einer eisernen Disziplin unterwerfen, um nicht allzu sehr auszuschweifen und vom Ausgangstext abzuweichen. Ich erinnere mich dabei an eine Übersetzungsprofessorin an der Universität, die uns die folgende Faustregel mit auf den Weg gab: „So treu wie nötig, so frei wie möglich“. Diese Devise habe ich mir hinter die Ohren geschrieben.

Was bedeutet für dich eine «Übersetzung» in den Bereichen Kommunikation und Marketing?

Arnaud: Jede Übersetzung ist ein „Kommunikationsprozess“, aber gerade in den Bereichen Marketing und Werbung, meinen bevorzugten Fachgebieten, muss man jedes Wort exakt abwägen, jeden Satz fein ziselieren, um Interesse für ein Produkt zu wecken, so dass der Zieltext bei einer klar definierten Zielgruppe am bestem rüberkommt. Ich habe eine immense Vorliebe für Werbetexte – Stichwort „Transkreation“ –, wo Kreativität stärker gefragt ist als bei sachlichen Übersetzungen. Auf meiner Beliebtheitsskala steht die Adaption von Werbeslogans und Wortspielen ganz oben!

Was unterscheidet eine gute Übersetzung von einer sehr guten?

Arnaud: Kurzgefasst: Eine gute Übersetzung liest sich wie eine Übersetzung; eine sehr gute Übersetzung liest sich wie ein eigenständiger Text, der auf einem weissen Blatt Papier entstanden ist.

Wie denkst du, sieht dein Beruf als Übersetzer in fünf Jahren aus?

Arnaud: Die Übersetzungstätigkeit wird sich dank künstlicher Intelligenz wohl vermehrt hin zu Aufgaben wie Post-Editing und Terminologiearbeit verschieben. Es wird weniger Raum für kreative Übersetzungen geben, weil sich Rentabilität und Kreativität schwer unter einen Hut bringen lassen. Letztendlich ist das Risiko da, dass die Übersetzungstätigkeit schlichtweg zu einem „Tool“ zur Übermittlung einer Botschaft verkümmern wird, bei der Kreativität auf der Strecke bleibt.

 

*Der „Gradsatz“ ist im Zieltext-Team ein Running Gag. Nathalie wies Susanne, die sich in einer Erzählung verhedderte und keinen geraden Satz zu Stande brachte, mit den Worten „Mach doch mal einen Gradsatz!“ zurecht, womit sie ihre eigene Unfähigkeit grad auch noch bewies. Seither benutzen wir den „Gradsatz“ als Aufforderung, sich verständlich auszudrücken.

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